
Sigi Lieb
Sigi Lieb ist Expertin für gendergerechte und inklusive Sprache. Sie unterstützt Unternehmen und Menschen in der Kommunikation in einer digitalen, diversen und globalen Arbeitswelt.
„Ich gendere nicht“, sagen manche. Dabei geht das gar nicht, jedenfalls nicht, wenn Sie Deutsch sprechen und schreiben. Denn das Gender ist tief in die deutsche Grammatik eingeschrieben. Sie können sich also nur entscheiden, wie Sie mit dem Gender in der deutschen Sprache umgehen wollen: maskulin, feminin oder inklusiv.
Insofern ist das Wort „gendern“ irreführend, denn es gibt kein Ja-Nein, sondern nur ein Wie. Gendern meint den bewussten und achtsamen Umgang mit den Gendermarkierungen in unserer Sprache.
Das alte Wort Sexus verweist auf das körperliche Geschlecht. Weil wir die Zugehörigkeit in eine Geschlechtskategorie an viel mehr Aspekten festmachen und Kinder in Geschlechterrollen, -bilder und –verhalten erziehen, hat sich der Begriff Gender durchgesetzt. Das ist ein Fachwort aus der Soziologie und schließt die Geschlechterrolle und Geschlechtsidentität ein. Daher verwende ich im Folgenden den Begriff Gender.
Auf der sprachlichen Ebene müssen wir unterscheiden zwischen dem grammatikalischen Geschlecht (Genus) und dem semantischen Geschlecht (Semantik, Wortbedeutung, was verstanden wird).
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Die deutsche Sprache zählt zu den „highly gendered languages“. Das bedeutet, in vielen Wörtern, die sich um Menschen drehen, steckt strukturell ein Verweis auf das Geschlecht der benannten Personen.
Wir erzählen also nicht nur, was passiert, sondern benennen gleichzeitig das Geschlecht der beteiligten Personen. Das war in der deutschen Sprache schon immer so, jedenfalls so lange wir zurückblicken können und Dokumente finden. In seiner „Grundlegung einer deutschen Sprachkunst“ schreibt Johann Christoph Gottschedt 1748:
„Wörter, die männliche Namen, Ämter, Würden oder Verrichtungen bedeuten, sind auch männlichen Geschlechts.“
und
„Alle Namen und Benennungen, Ämter und Titel, Würden und Verrichtungen des Frauenvolkes sind weiblichen Geschlechts.“
Zur Einordnung: Englisch zählt wie Schwedisch zu den „natural gendered languages“. Das bedeutet, Nomen sind weitgehend neutral oder können leicht neutral gemacht werden. In den Pronomen ist aber ein Gender versteckt. Die dritte Kategorie sind die sogenannten „genderless languages“, dazu gehören zum Beispiel Ungarisch oder Finnisch. Das bedeutet, die Grammatik kommt ohne Geschlecht aus. Gendermarkierungen gibt es nur in der Lexik, etwa bei Wörtern wie Vater, Mutter, Bruder, Schwester.
Wir haben im Deutschen also unterschiedliche Wörter, je nachdem ob ein Mann oder eine Frau diese Funktion, Rolle oder diesen Beruf hat. Was wir aber nicht haben, sind Wörter für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau begreifen.
Und bevor Sie jetzt die Hand vor den Kopf schlagen, halten Sie einen Moment inne. Die Natur selbst ist es, die seit Menschengedenken bunter aufgestellt ist, als es uns unsere einfache Kategorisierung in Mann und Frau weismachen will. Es gibt zahlreiche Formen von Intergeschlechtlichkeit. Das bedeutet, Menschen werden mit gemischtgeschlechtlichen körperlichen Merkmalen geboren. Sie als Säugling oder Kleinkind in ein Geschlecht zu operieren, war jahrzehntelange gängige Praxis, sowohl in der DDR wie auch in der BRD und im vereinigten Deutschland. Diese seit langem als Menschenrechtsverletzung kritisierte Praxis wurde erst 2021 in Deutschland verboten.
Wie viele Menschen intergeschlechtlich sind, ist unbekannt. Die Schätzungen reichen von 0,2 bis 4 Prozent der Weltbevölkerung, die UNO geht von 1,7 Prozent aus. Aber selbst wenn es nur 0,5 Prozent wären, bedeutet das statistisch, dass an einer Grundschule mit 200 Kindern ein Kind intergeschlechtlich ist. Und dieses Ich findet derzeit nicht statt, nicht in der Sprache, nicht in den Büchern (Ausnahme Biobuch im Kontext Geschlecht und Genetik, dort als „nicht normgerecht“ dargestellt), nicht in den Räumen, weil alles streng binär in Jungs und Mädchen unterteilt wird. Ein siebenjähriges Kind, das gerade seine geschlechtliche Identität entdeckt, mag sich fragen: „Und wo bin ich?“
Hier sehen Sie auch, dass es nicht um Minderheiten oder Mehrheiten geht, sondern um grundgesetzlich geschützte Individualrechte. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland 2017 und das Pendant in Österreich 2018 entschieden, dass alle Menschen ein Recht auf einen eigenen positiven Geschlechtseintrag haben.
Zurück zur Sprache: Uns fehlen also Wörter für Tatsachen, die wir bisher geleugnet haben. Logisch: Sprache ist Ausdruck unseres Erlebens der Welt. Was in der Welt versteckt wird und nicht auftaucht, für das fehlen in der Sprache Wörter. Ohne Wörter, keine Vorstellung und Bewusstmachung. Und was nicht gedacht wird, wird beim Tun vergessen.
Genau diese Funktion erfüllt der Stern. Er macht uns darauf aufmerksam, dass es mehr Geschlechter gibt als nur Mann und Frau. Deswegen ist auch das Binnen-I Geschichte, denn es verweist nur auf Männer und Frauen. Alternative Zeichen für geschlechtliche Vielfalt zum Stern sind der Doppelpunkt und der Unterstrich. Welches Zeichen sich am Ende durchsetzen wird, ist noch nicht ausgemacht. Im Moment ist der Stern vorne (Blinden- und Sehbehindertenverband, Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik).
Die Nachrichtenagenturen im DACH-Raum haben 2021 beschlossen, das generische Maskulinum schrittweise zurückzudrängen. Warum? Weil es massiv in der Kritik steht und diese Kritik wissenschaftlich untermauert ist.
Der Begriff „generisches Maskulinum“ kam erst in den 80er Jahren in unsere Sprache, vorangetrieben vom Linguisten Peter Eisenberg gegen die Bemühungen von Linguistinnen wie Luise Pusch. Die These von Eisenberg: Das Maskulinum sei geschlechtslos. Dafür kämpft der inzwischen über 80-jährige noch immer.
Er muss sich aber immer öfter und wissenschaftlich fundiert anhören: Diese semantische Absicht ist gescheitert. Es mag neutral gemeint sein, wirkt aber nicht neutral, weil es überwiegend Bilder von Männern in den Köpfen erzeugt. Das wird von zahlreichen wissenschaftlichen Studien belegt. Einen guten Überblick über wissenschaftliche Erkenntnisse liefert Quarks.
Gendergerechte Sprache bemüht sich also darum, das Maskulinum nur dort zu verwenden, wo Männer angesprochen werden und ansonsten entweder neutral zu schreiben oder alle zu benennen, die gemeint sind.
Sonderzeichen wie der Genderstern sind noch nicht Teil der Amtlichen Rechtschreibung. Das macht nichts, denn es gibt keinen normativen Sprachzwang. Sie dürfen also entscheiden, ob Sie Sterne oder Doppelpunkte verwenden wollen oder nicht. Aber das ist viel seltener nötig, als Sie befürchten:
Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Obwohl ich nun schon eine ganze Weile über das Thema gendergerechte Sprache schreibe, habe ich noch kein Sonderzeichen in dem Text hier verwendet. Denn unsere schöne deutsche Sprache bietet viele Möglichkeiten, uns neutral auszudrücken.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen für einen Einstieg in das Thema gendergerechte Sprache die Scheu nehmen. Der wichtigste Schritt ist, das Warum zu verstehen. Wer einen Sinn erkennt, ist bereit, sich auf eine Veränderung einzulassen. Dann ist das Lernfenster offen, das Wie zu lernen. Die Gewohnheit kommt mit der Übung. Versprochen.
In der Rubrik „Sprache und Sprachwandel“ in meinem Blog finden Sie mehrere Artikel und Infos rund um das Genderthema.
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4 Kommentare
Karin Klug
Herzlichen Dank… sehr hilfreich und informativ!!!
Bettina Auinger
Danke für den wertvollen Beitrag! Das Thema poppt immer wieder auf und meistens fällt mir dann nichts Gescheites ein 😊
Gabriele Voth
Sehr einfach und behutsam erklärt.
Das könnten viele versehen, die bisher Berührungsängste hatten. Wenn sie es läsen!
Marco Wach
Vielen Dank, sehr aufschlussreiche Darstellung!
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