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Adaption, Transkreation, Lokalisierung: die weite Welt der Übersetzungen

Julia Ritter:  Das Prinzip der Übersetzung scheint einfach: Man hat einen Text in einer Sprache und macht daraus einen Text in einer anderen Sprache. Doch so, wie es viele verschiedene Arten von Texten gibt, gibt es auch viele Arten von Übersetzungen. Sie unterscheiden sich unter anderem darin, wie frei der*die Übersetzer*in mit dem Text umgeht. Am einen Ende der Skala steht die juristische Fachübersetzung, die extrem originalgetreu sein muss, am anderen Ende die Transkreation, die aus dem Original einen fast neuen Text macht. Welche Art von Übersetzung man braucht, hängt davon ab, was für einen Ausgangstext man hat und welche Funktion der Zieltext erfüllen soll.

Juristische, technische und andere Fachübersetzungen

Wer eine rechtssichere Übersetzung eines Vertrags braucht, ein Baugutachten oder einen medizinischen Fachartikel übersetzen lassen will, braucht eine*n entsprechende*n Fachübersetzer*in. Fachübersetzer*innen haben oft eine Zusatzqualifikation für ihr Fachgebiet. Sie übersetzen sehr präzise und nah am Ausgangstext. Sie wissen, welcher Sachverhalt und welches Konzept in der Zielsprache dem in der Ausgangssprache entspricht. Und sie wissen, wie sie damit umgehen, wenn es keine solche Entsprechung gibt. Bei der Fachübersetzung steht nicht die sprachliche Eleganz im Vordergrund, sondern die genaue Wiedergabe des Originals.

Adaption

Anders ist es bei der Adaption. Hier wird der Ausgangstext so angepasst (adaptiert), dass er in der Zielsprache überzeugend wirkt. Auf der ganz banalen Ebene müssen Einheiten umgerechnet werden – zum Beispiel Inches in Centimeter oder Pints in Liter. Aber auch die Tonalität – also die Art, wie ein Text klingt – muss oft angepasst werden. So wird zum Beispiel der meist sehr euphorische und werbliche Ton von US-amerikanischen Pressemitteilungen für den deutschen Markt etwas heruntergedimmt. Oder die kulturellen Anspielungen in einem Text werden durch solche ersetzt, die in der Zielkultur verstanden werden. Ein Beispiel sind hier die in den USA beliebten Sportmetaphern, die einem deutschen Publikum oft wenig sagen. Die Adaption ist also freier als die Fachübersetzung. Der*die Übersetzer*in muss sich in beiden Kulturen gut auskennen und muss Ahnung von der Textsorte haben, um die es geht. Er*sie muss wissen, wie ein Marketingtext, eine Pressemitteilung, ein Werbetext in der Zielsprache auszusehen und zu wirken hat.

Lokalisierung

Eine besondere Form der Adaption ist die Lokalisierung. Oft werden die Begriffe synonym gebraucht, aber mit Lokalisierung ist vor allem die Übersetzung von Software-Inhalten gemeint, also zum Beispiel für Websites oder Programme. Hier ist es natürlich extrem wichtig, dass Begriffe einheitlich verwendet werden, damit zum Beispiel Programmbefehle nicht mal so und mal so benannt werden. Software-Lokalisierer*innen müssen also mit einem großen Glossar arbeiten – ihre Zielsprache ist nicht einfach Deutsch, Englisch, Französisch oder sonst etwas, sondern eine Teilmenge davon: die Sprache, die in dem Universum der jeweiligen Software gebräuchlich ist.

Und wo wir bei Universen sind: Auch Computerspiele werden lokalisiert. Ich habe höchste Achtung für diese Arbeit, weil der*die Übersetzer*in hier zusätzlich noch auf so Dinge wie sprachliche Eigenheiten der jeweiligen Figuren achten muss. Die Lokalisierung von Spielen ist wie eine Mischung aus Literaturübersetzung und Software-Lokalisierung. Es ist quasi eine Übersetzung in eine(r) andere(n) Welt.

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Transkreation

Bei der Transkreation bewegt sich der*die Übersetzer*in oft noch weiter vom Originaltext weg als bei der Adaption. Der Ausgangstext dient dann eher als Briefing für einen neuen Text in der Zielsprache. Meistens geht es dabei um kurze, besonders verdichtete Texte, zum Beispiel Werbeanzeigen oder Claims. Die Grenze zwischen Adaption und Transkreation ist nicht scharf: Manch eine Adaption kann auch als Transkreation durchgehen. Einen ausführlichen Text über Transkreation hat meine Kollegin Jutta Scherer hier im Magazin geschrieben. [Link: https://www.texttreff.de/theme...]

Literaturübersetzungen

Wenn man „Übersetzung“ sagt, denken die meisten Menschen als erstes an Literaturübersetzungen. Herausragende Literaturübersetzungen werden mit Preisen ausgezeichnet, und manche Übersetzer sind auch über Brancheninsiderkreise hinaus bekannt. Literaturübersetzer*innen müssen, mehr als ihre Übersetzerkolleg*innen in den anderen Bereichen, gut schreiben können. Sie machen nicht nur aus einem ausgangssprachlichen Text einen zielsprachlichen, sie schreiben Literatur. Sie müssen eine zielsprachliche Entsprechung finden, wenn Figuren sich durch ihre Art zu sprechen von anderen abheben. Manchmal müssen sie dabei eigene Wortschöpfungen schaffen.

Nicht bei jeder Literaturübersetzung werden hochanspruchsvolle oder nobelpreisverdächtige Werke bearbeitet. Der Großteil aller übersetzten Bücher, die neu auf den Markt kommen, ist Unterhaltungsliteratur – manche gut geschrieben, manche weniger gut. Es gibt Fälle, in denen die Übersetzung besser ist, als das Original, einfach, weil der*die Übersetzer*in wie eine Art Filter wirkt und Ungenauigkeiten, überflüssige Wiederholungen oder hölzerne Formulierungen ausmerzt, die im Original nicht weglektoriert wurden (vielleicht, weil es kein Lektorat gab). Titel, die schnell auf den Markt kommen müssen, weil das Publikum gierig wartet und sonst zur Selbsthilfe in Form von unautorisierten Fan-Übersetzungen greifen könnte, werden häufig von mehreren Übersetzer*innen bearbeitet. Im Idealfall sorgt ein*e Übersetzungslektor*in dann dafür, dass am Schluss alles wie aus einem Guss wirkt.

Audiovisuelle Übersetzungen

Nicht in jedem Fall ist es ein schriftlicher Text, der übersetzt wird. Auch OmU-Untertitel, also zum Beispiel deutschsprachige Untertitel für englischsprachige Filme, sind Übersetzungen, obwohl hier manchmal kein Skript vorliegt, sondern der*die Untertitler*in das übersetzt und untertitelt, was er*sie hört. Man nennt das „audiovisuelle Übersetzung“: aus gehörter Sprache wird schriftliche Sprache. Die Herausforderung bei Untertiteln liegt darin, Aussagen so zusammenzufassen, dass sie in bis zu zwei Zeilen passen, die im Zweifelsfall nur kurz eingeblendet werden, weil dann schon der nächste Untertitelt oder ein Schnitt kommt.

Eine weitere Art der audiovisuellen Übersetzung sind Rohübersetzungen für Synchronbücher, das sind die Dialogbücher, anhand derer die synchronisierte Fassung eines Films gemacht wird. Der Ausgangstext für die Rohübersetzung ist nicht etwa das Drehbuch, sondern der fertig geschnittene Film, denn natürlich kann der Dialog im Film vom Drehbuch abweichen.

… und was ist mit Dolmetschen?

Wenn ich sage, dass ich Übersetzerin bin, werde ich oft gefragt, ob ich auch dolmetsche. Aber Dolmetschen ist eine ganz andere Tätigkeit, die ganz andere Kompetenzen erfordert. Während beim Übersetzen bis auf wenige Ausnahmen (siehe audiovisuelle Übersetzungen) immer ein schriftlicher Text bearbeitet wird, übersetzen Dolmetscher*innen das gesprochene Wort in einer Sprechsituation und geben ihre Übersetzung direkt mündlich wieder. Das erfordert sehr viel Konzentration, man muss gleichzeitig hören und verarbeiten. Simultandolmetscher*innen müssen das Ende eines Satzes oft erraten, wenn beispielsweise in der einen Sprache das Verb am Anfang des Satzes steht und bei der anderen erst am Ende.

Und was, wenn ich einfach nur eine ganz normale Übersetzung brauche?

„Ganz normale Übersetzungen“ sind ziemlich selten. Wer eine professionelle Übersetzung in Auftrag gibt, möchte meiner Erfahrung nach mit dem Zieltext etwas Bestimmtes erreichen. Damit das funktioniert, sollte die Übersetzung bei der Zielgruppe gut ankommen, und das bedeutet in den allermeisten Fällen ein gewisses Maß an Adaption. „Übersetzung“ ist also vor allem ein Oberbegriff und nicht etwas, das in Reinform auftritt. Das ist aber gar nicht schlimm, und man muss die oben genannten Übersetzungsarten auch nicht auswendig lernen. Wichtig ist nur, dass man sich vor der Auftragsvergabe fragt, was für eine Art Text man braucht. Der*die Übersetzer*in des Vertrauens sollte, wenn er*sie das Vertrauen verdient, wissen, welche Art von Übersetzung benötigt wird und ob er*sie darauf spezialisiert ist oder lieber eine Kollegin*einen Kollegen empfiehlt.


Julia Ritter ist Übersetzerin, Texterin und Untertitlerin für die Sprachen Englisch und Deutsch. Sie schreibt und übersetzt (bzw. adaptiert😊) am liebsten Texte, die informativ und gut zu lesen sind – ob Broschüren, Webtexte oder Studienberichte. Ihr Schwerpunkt als Untertitlerin sind Spielfilme und Dokus. Sie arbeitet ebenso gerne für Agenturen wie für Direktkunden.

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